Beide Managementdisziplinen sind kontinuierliche Prozesse, die eine ständige Verbesserung und Anpassung erfordern. Sie tragen wesentlich zur erfolgreichen Durchführung von Projekten bei, indem sie klare Ziele setzen, realistische Erwartungen schaffen und die Kommunikation fördern.
Der Aufwand, in Anforderungs- und Erwartungsmanagement zu investieren, zahlt sich aus: Projekte werden effizienter durchgeführt, und die beruflichen Beziehungen bleiben konstruktiv und zufriedenstellend.
Inhaltsverzeichnis
Anforderungsmanagement
Das Anforderungsmanagement ist ein zentraler Bestandteil der Planung und Durchführung von Softwareprojekten. Es umfasst die Erfassung, Dokumentation, Analyse und Verwaltung der Anforderungen, die von den Stakeholdern des Projekts gestellt werden.
Eine gute Anforderung sollte realisierbar und eindeutig sein. Realisierbarkeit bedeutet, dass sie innerhalb der finanziellen und zeitlichen Grenzen des Projekts realistisch umsetzbar ist. Eindeutigkeit bedeutet, dass sie klar und prägnant formuliert ist, ohne Fachjargon oder Abkürzungen, wobei Formulierungshilfen unterstützend sein können.
Eine Anforderung ist eine Aussage, die beschreibt, was eine Software aus Sicht bestimmter Stakeholder leisten muss, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. In nicht-softwarebezogenen Projekten ist eine Anforderung eine Eigenschaft, die ein Gegenstand aus Sicht eines bestimmten Stakeholders erfüllen muss. Der Fokus dieses Artikels liegt auf Softwareprojekten.
Definition Anforderungsmanagement
Das Anforderungsmanagement ist ein essenzieller Teil des Projektmanagements. Das Ziel des Anforderungsmanagements ist es, die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden sowie Stakeholder zu erfassen und entsprechend umzusetzen. Dazu benötigt es eine Spezifikation aller Anforderungen, die vollständig, eindeutig und konsistent ist.
Die Arten und Weisen Anforderungen zu erfassen, sind in der Praxis unterschiedlich. Hierzu werden oft Workshops mit Fachbereichen und Projektverantwortlichen durchgeführt. Auch können dazu Felduntersuchungen, Befragungen, Untersuchungen von Software mit ihren Möglichkeiten und weitere Wege genutzt werden. Auch die Identifikation der wichtigen Stakeholder im Projekt gehört unbedingt ermittelt und fortschreibend dokumentiert.
Arten von Anforderungen
Anforderungsmanagement bezeichnet den Prozess, bei dem die vom Kunden gewünschten Systemdienste sowie die Bedingungen für Betrieb und Entwicklung festgelegt werden. Die Anforderungen selbst sind die Beschreibungen der Systemdienste und -einschränkungen, die während dieses Prozesses dokumentiert werden.
Unterscheidung der Arten von Anforderungen
Diese können nach der Art unterschieden werden, die beschreibt, was eine Anforderung beinhaltet
- Geschäftsanforderungen: Anforderungen, welche aus dem geschäftlichen Hintergrund, dem Markt und der Branche gestellt werden. Diese Anforderungen beschreiben die Prozesse und Abläufe, die für den Geschäftsbetrieb nötig sind. Diese werden in Lastenheften, Grobkonzepten oder weiteren Anforderungsdokumenten in verstehbarer Sprache und idealerweise ergänzt um Visualisierungen beschrieben. Zielgruppen der Anforderungen sind insbesondere
- Auftraggeber
- Projektteam und Berater
- Kunden, sowie deren Fachbereiche, Manager und Projektverantwortliche
- Systemarchitekten
- Benutzeranforderungen: Benutzeranforderungen konzentrieren sich auf die Nutzerfreundlichkeit und die Abläufe im System, während Geschäftsanforderungen den Geschäftsbedarf abdecken. Diese Anforderungen werden in klarer, natürlicher Sprache beschrieben und durch Visualisierungen ergänzt, welche die Systemdienste, bestehenden Abhängigkeiten und möglichen Einschränkungen darstellen. Benutzeranforderungen werden in hybriden oder agilen Projekten bevorzugt in User Stories formuliert (vergleiche Abschnitt Ergebnisdokumente). Sonst sind diese in beispielsweise in Fachkonzepten, Pflichtenheften, Spezifikationsdokumente enthalten. Zielgruppen für Benutzeranforderungen sind
- Projektteam und Berater
- Kunden, sowie deren Fachbereiche, Manager und Projektverantwortliche
- Key User und Endbenutzer
- Systemarchitekten
- Systemanforderungen: Die Anforderungen werden in einem strukturierten Dokument beschrieben, in welchem die Funktionen, Dienste und auch technische, sowie prozessuale Einschränkungen enthalten sind. Auch darin enthalten sind technische Voraussetzungen und mögliche technische Limitationen. Dieses Dokument definiert, was implementiert werden soll, und kann daher als Teil eines Vertrags zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer dienen. Zielgruppen für Benutzeranforderungen sind
- Projektmanager und technische Berater
- Kundenseitige Projektverantwortliche und IT
- Systemarchitekten, System Customizer und Entwickler
Unterscheidung funktionale und nicht-funktionale Anforderungen
Anforderungen werden auch in funktionale und nicht-funktionale Anforderungen unterschieden:
- Funktionale Anforderungen beschreiben das zweckmäßige Systemverhalten im angestrebten Zielzustand. Funktionale Systemanforderungen beschreiben die Systemdienste detaillierter. Die funktionalen Anforderungen variieren je nach Art der Software, den vorgesehenen Benutzern und dem System, in dem die Software verwendet wird. Funktionale Anforderungen beschreiben somit, WAS das System tun soll. Ein Beispiel: “Der Umsatzbericht des letzten Quartals muss per Knopfdruck als .pdf oder .xlsx exportiert werden können.”
- Nicht-funktionale Anforderungen definieren Systemeigenschaften und -beschränkungen wie Zuverlässigkeit, Reaktionszeit und Speicherbedarf. Sie umfassen auch Einschränkungen wie die Kompatibilität mit Endgeräten und Systemdarstellungen. Prozessanforderungen können spezifiziert werden, indem eine bestimmte Programmiersprache oder Entwicklungsmethode vorgeschrieben wird. Nicht-funktionale Anforderungen beschreiben, WIE ein System sich verhalten soll. Ein Beispiel: “Die Ladezeit des Umsatzberichtes darf 5 Sekunden nicht überschreiten.”
Zusammengefasst: Funktionale Anforderungen beziehen sich auf die Zweckbestimmung des Produkts, während nicht-funktionale Anforderungen Zuverlässigkeit und Zeitverhalten umfassen können.
Ergebnisdokumente, in denen Anforderungen beschrieben und dokumentiert werden
Je nach Projektmethodik und gewählter Projektvorgehensweise können verschiedene Ergebnisdokumente existieren, die Anforderungsbeschreibungen enthalten. Zu den relevanten Dokumenten gehören unter anderem:
- Das Statement of Work (Leistungsbeschreibung, auch “SoW”) beschreibt den Arbeitsumfang und die zu liefernden Ergebnisse auf hoher Ebene. Es spielt bereits in der Angebotsphase von Projekten eine zentrale Rolle und gilt als verbindliches Dokument. Das Statement of Work (SoW) beschreibt die Arbeiten, die ein Auftragnehmer oder ein Team durchführen soll. Es legt ebenso den Umfang der Arbeit (Scope), die Aufgaben, die Zeitpläne und die zu liefernden Ergebnisse fest. Ebenso grenzt es ab, was nicht Teil des Projekts ist.
- Im technischen Bereich wird häufig das Lastenheft verwendet. Es enthält alle Anforderungen des Auftraggebers an die Leistungen des Auftragnehmers. Diese Anforderungen sollten so allgemein wie möglich und nur so spezifisch wie nötig formuliert sein.
- Im weiteren Projektverlauf erstellen Auftragnehmer das Pflichtenheft, das präzise darlegt, wie die Anforderungen des Lastenhefts technisch und organisatorisch umgesetzt werden.
- In agilen Projekten ersetzen User Stories oft das Lastenheft und das Pflichtenheft. Eine User Story ist eine in Alltagssprache formulierte Softwareanforderung, die aus der Perspektive des Endbenutzers beschrieben wird. Sie ist bewusst kurz gehalten und folgt oft der typischen Beschreibung: “Ich, als [Persona], möchte [Softwareziel], damit [Nutzen/Ergebnis].” Ein Beispiel: “Als Projektleiterin möchte ich ein Dashboard haben, das Echtzeitdaten zu Projektfortschritt und Ressourcenauslastung zeigt, damit ich schnell auf Verzögerungen reagieren und Ressourcen effizient zuweisen kann.” Ein elementarer Bestandteil von User Stories sind die Akzeptanzkriterien. Dies sind spezifische Bedingungen, die ein Softwareprodukt oder -feature erfüllen muss, um die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen. Dies sind Messkriterien, welche erfüllt sein müssen, damit eine User Story als umgesetzt gelten kann. Diese beschreibt der Product Owner aus Kundensicht und diese können als “Abnahmekriterium” für User Stories angesehen werden.
- Ein Change Request (Änderungsanforderung) ist ein formeller Änderungswunsch, der nach Festlegung des verbindlichen Umfangs der Projektanforderungen eingereicht wird. Er kann den Projektumfang erweitern, ändern oder reduzieren. Die Auswirkungen einer Änderung im Projekt sind vorher sorgfältig zu definieren und dokumentiert. Der Change Request wird idealerweise schriftlich zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbart. Die Kunst ist es im laufenden Projekt auf sogenannte versteckte Änderungen im Projekt zu achten, die sich vielleicht schleichend entwickeln, wie z.B. der Ausbau von Anforderungen, die als Vervollständigungen getarnt werden (“Scope creep”) oder die augenscheinlich sein müssen, wie z.B. organisationale Änderungen, die “auf jeden Fall” im Projektumfang aufgenommen werden müssen.
Darüber hinaus kann es noch weitere Dokumente mit Anforderungsbeschreibungen geben, wie beispielsweise: Architekturdokumente, Prozessdokumentationen oder Testfallbeschreibungen.
Verantwortlichkeiten des Projektmanagers im Anforderungsmanagement
- Stakeholder-Management: Kenne die relevanten Stakeholder! Durch die Identifikation der wichtigen Stakeholder wird sichergestellt, dass ihre Bedürfnisse und Erwartungen in den Anforderungen berücksichtigt werden. Die fortlaufende Analyse der Stakeholder oder bestehender Kraftfelder ermöglicht ein gezieltes Management, um erwünschte Veränderungen herbeizuführen. Und bestenfalls fördernde Kräfte zu stärken und blockierende Kräfte zu schwächen.
- Kommunikation: Aktive und klare Kommunikation mit dem Projektteam und den Stakeholdern gewährleistet, dass alle Anforderungen verstanden und akzeptiert werden. Dieser Prozess ist kontinuierlich und wiederkehrend. Es ist wichtig, regelmäßig das Verständnis der Anforderungen mit den Stakeholdern und anderen Projektbeteiligten abzugleichen und gegebenenfalls anzupassen.
- Dokumentation und Nachverfolgbarkeit: Im Anforderungsmanagement gewährleisten Dokumentationen, dass Anforderungen klar und plausibel dokumentiert sind, Entscheidungen nachvollziehbar sind und alle Änderungen ordnungsgemäß protokolliert werden (vergleiche Change Request Management ).
- Risikomanagement zielt darauf ab, Risiken jeglicher Art zu identifizieren, die mit Anforderungen verbunden sind, sei es technische, organisatorische oder geschäftliche Risiken. Beispiele für Risiken in Bezug auf Anforderungen sind Scope Creep, fehlende Benutzerakzeptanz (wenn Benutzer nicht ausreichend in die Anforderungsdefinition eingebunden sind), unklare Anforderungen oder Fehleinschätzungen bei der Anforderungsdefinition, bzw. deren Umsetzung. Im Risikomanagement werden Strategien entwickelt, um diese Risiken zu beseitigen oder zu mindern.
- Qualitätssicherung gewährleistet, dass die Anforderungen den festgelegten Qualitätsstandards entsprechen, vollständig und umsetzbar sind. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das fertige Produkt möglichst den Anforderungen entspricht.
- Konfliktlösung zwischen verschiedenen Anforderungen, der Priorisierung von Anforderungen oder zwischen Stakeholdern bezüglich der Anforderungen ist eine wichtige Aufgabe im Anforderungsmanagement.
- Ressourcenmanagement: Im Anforderungsmanagement ist das Ressourcenmanagement entscheidend, um sicherzustellen, dass die benötigten Ressourcen sowie das erforderliche Wissen zur Bewertung und Umsetzung im Projektteam vorhanden sind.
- Überwachung und Kontrolle: Die kontinuierliche Überwachung des Fortschritts und der Einhaltung der Anforderungen sowie das Einleiten von Korrekturmaßnahmen bei Abweichungen sind Kernaufgaben der Überwachung im Anforderungsmanagement. Dies bezieht auch alle vorangehenden Punkte in verschiedenem Maße mit ein.
Durch effektives Anforderungsmanagement kann ein Projektmanager sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Stakeholder erfüllt und die Projektziele erreicht werden, was zum erfolgreichen Abschluss des Softwareprojekts beiträgt.
Priorisierung von Anforderungen
Priorisierung in Projekten ist entscheidend, um Themenbereiche zu gruppieren. Zu Beginn ist es wichtig, die wesentlichsten und geschäftskritischsten Themen hervorzuheben und klare Abgrenzungen im Projektumfang vorzunehmen. Zunächst mag jede Anforderung als wichtig erscheinen, doch oft übersteigt der Gesamtumfang das verfügbare Budget oder den Zeitplan. Daher ist es nun entscheidend, zwischen wichtig und weniger wichtig zu unterscheiden sowie das sehr wichtige zu priorisieren.
Die MoSCoW-Methode als Priorisierung von Anforderungen
Die MoSCoW-Priorisierung ist eine Methode im Projektmanagement, die es ermöglicht, Anforderungen nach ihrer Wichtigkeit und Auswirkung zu priorisieren. Ursprünglich in der agilen Methode DSDM entwickelt, wird sie heute in Techniken wie PRINCE2 zur Priorisierung von Projektabnahme- und Qualitätskriterien verwendet.
- Must-Have (Muss): Muss-Anforderungen sind für den Erfolg des Projekts unverzichtbar und nicht verhandelbar. Wenn diese Anforderungen nicht erfüllt werden, kann das Projekt nicht abgeschlossen werden und gilt als gescheitert.
- Should-Have (Soll): Sollte haben: Dies sind wichtige, aber nicht kritische Merkmale eines Projekts, und es handelt sich um Elemente mit hoher Priorität, die nicht so (zeit)kritisch sind wie die Must-haves. Dabei handelt es sich oft um Elemente, die einen erheblichen geschäftlichen Mehrwert darstellen oder auch Elemente, die einen Funktionsumfang darstellen, der hingenommen werden kann. Das unterscheidet sie von Muss-Anforderungen.
- Could-Have (Kann): Diese Elemente sind wünschenswert und bieten einen Mehrwert, doch haben keinen direkten Einfluss auf den Erfolg des Gesamtprojekts. Daher können sie implementiert werden, wenn Zeit und Ressourcen es zulassen.
- Won’t (Nicht-Ziele): Diese Elemente werden im aktuellen Projekt nicht umgesetzt und sind definitiv nicht (zu dieser Zeit) gewünscht. Entweder sind sie derzeit nicht möglich oder nicht im aktuellen Projektumfang enthalten und könnten später berücksichtigt werden. Es ist wichtig, sie deutlich zu beschreiben, damit sie transparent abgegrenzt sind.
Erwartungsmanagement
Im Anforderungsmanagement findet implizit auch Erwartungsmanagement statt, indem die Bedürfnisse und Erwartungen der Stakeholder identifiziert, dokumentiert, analysiert und verwaltet werden. Erwartungsmanagement geht jedoch darüber hinaus. Das bedeutet, dass nicht nur die reinen Anforderungen erfasst werden, sondern auch die zugrunde liegenden Erwartungen der Stakeholder an das Projekt, die beteiligten Personen und deren Rollen berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die finalen Anforderungen nicht nur technisch korrekt sind, sondern auch die Erwartungen der Stakeholder vollständig erfüllen und bestenfalls auch übertreffen können.
Was sind Erwartungen?
Eine Erwartung ist eine Vorstellung oder Annahme darüber, wie sich etwas in der Zukunft entwickeln wird oder wie es zukünftig sein sollte. Sie repräsentiert eine subjektive Vorwegnahme eines zukünftigen Ereignisses oder Zustands. Erwartungen beeinflussen menschliches Denken und Handeln, indem sie unsere Wahrnehmung filtern und unsere Interpretationen von Ereignissen und Zuständen lenken.
Es gibt verschiedene Arten von Erwartungen, die Menschen beeinflussen und leiten, insbesondere:
- Persönliche Erwartungen: Dies sind individuelle Vorstellungen darüber, wie etwas verlaufen sollte oder wie sich eine Situation entwickeln wird. Zum Beispiel können Menschen Erwartungen an ihre Karriere, ihre Beziehungen oder ihre persönliche Entwicklung haben. Persönliche Erwartungen sind individuell und basieren auf eigenen Denkweisen, Glaubenssätzen, auch Vorurteilen und der persönlichen Erfahrungen.
- Soziale Erwartungen, wie sie an professionelle Rollen gestellt werden: Diese beziehen sich auf die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, die bestimmen, wie Menschen sich verhalten sollen. Dies können ebenso Erwartungen an das Erscheinungsbild und Auftreten sein, wie an Sozialverhalten, wie Kommunikations- oder Konfliktfähigkeit oder an Verantwortungsübernahme. Beispiele hierfür sind der professionelle Auftritt im Erscheinungsbild, Pünktlichkeit oder die Erwartung, dass bestimmte Regeln und Gesetze befolgt werden.
- Projektbezogene Erwartungen: In einem geschäftlichen oder projektbezogenen Kontext beziehen sich Erwartungen darauf, was ein Produkt oder ein Projekt liefern soll. Dies umfasst Erwartungen die Funktionalität, Qualität, Zeitpläne und Budgets. Auch Wissen über den Markt und die Branche als Projektkontext kann hier einbezogen sein.
Erwartungen können explizit oder implizit sein und können sich aufgrund von Kommunikation, Erfahrungen oder kulturellen Hintergründen entwickeln, sowie verändern. Ein effektives Management von Erwartungen ist wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass Ergebnisse oder Leistungen die Bedürfnisse und Vorstellungen der Beteiligten erfüllen.
Implizite versus explizite Erwartungen
Implizite Erwartungen sind unausgesprochene Gedanken. Sie bleiben anderen verborgen. Dies sind innere Vorstellungen oder Annahmen, die in unserem Kopf existieren, aber nicht klar verbalisiert werden. Implizite Erwartungen können durch nonverbales Verhalten, kulturelle Normen oder frühere Erfahrungen vermittelt werden. Da sie nicht explizit ausgesprochen werden, gelten sie oft als selbstverständlich.
Ein Beispiel für implizite Erwartungen an einen Projektmanager könnte sein, dass der Lenkungskreis erwartet hätte, dass er in seiner Rolle als Projektmanager eine bestimmte Entscheidung selbst trifft. Obwohl dies nicht explizit kommuniziert wurde, könnte die Erfahrung oder die Rolle des Projektmanagers implizieren, dass dieser die Autorität und Verantwortung hat, solche Entscheidungen zu treffen. Wenn der Projektmanager jedoch keine Entscheidung trifft, könnte der Lenkungskreis dies als unerwartet oder nicht den Erwartungen entsprechend empfinden, selbst wenn es nicht ausdrücklich vereinbart wurde.
Die Kunst im Erwartungsmanagement besteht darin, implizite Erwartungen expliziten zu machen. Deshalb ist es eine Kunst, die ohne Anspruch auf Vollendung und Perfektion ausgeführt wird. Gutes Erwartungsmanagement ist dauerhaft etabliert im laufenden Projekt. Da implizite Erwartungen unsichtbar und nicht greifbar sind, ist es wichtig, wachsam und vorausschauend auf Hinweise zu achten, die auf solche Erwartungen hinweisen könnten oder die in der Vergangenheit bereits zu Konflikten im Erwartungsmanagement geführt haben. So kann Erwartungsmanagement realitätsnah im Projekt integriert werden.
Implizite Erwartungen spielen eine wichtige Rolle in zwischenmenschlichen Interaktionen und in organisatorischen Kontexten. Hier sind einige zusätzliche Aspekte, die implizite Erwartungen charakterisieren und wie sie in explizite Erwartungen umgewandelt werden können:
Charakteristika impliziter Erwartungen
- Sie sind nicht deutlich ausgesprochen: Implizite Erwartungen werden nicht direkt formuliert oder klar kommuniziert. Manchmal werden Sie nur abstrakt oder “durch die Blume” mitgeteilt, wie beispielweise “Übernehmen Sie als Projektleitung die Verantwortung”. Hier bleibt im Unklaren, welche Verantwortlichkeiten gemeint oder auch abgegrenzt sind und ob auch Sozialverhalten damit gemeint ist. Sie können aus kulturellen Normen, gängigen Rollenbildern, früheren Erfahrungen oder ungeschriebenen Regeln abgeleitet werden.
- Sie sind subjektiv: Und können von Person zu Person variieren, abhängig von individuellen Erfahrungen, Überzeugungen, Werten oder weiteren Erwartungen. Auch können Erwartungen zwischen Stakeholdern unterschiedlich sein, die das gleiche Ziel verfolgen. Im Verdachtsfalle einer solchen Konstellation ist es wichtig, eine gemeinsame Erwartungsklärung mit den betreffenden Stakeholdern durchzuführen.
- Sie sind schwierig bis nicht wahrnehmbar: Da sie nicht verbalisiert werden, können implizite Erwartungen schwer zu erkennen oder zu verstehen sein, was zu Missverständnissen oder Konflikten führen kann. Achten Sie auf mögliche Zeichen oder deuten Sie Muster, die im Projektverlauf auftreten, um diese zu hinterfragen. Dabei ist ein mehrfaches Hinterfragen wichtiger zur Klärung als mit dem eigenen Verständnis zu arbeiten.
Umwandlung in explizite Erwartungen
Um implizite Erwartungen in explizite zu überführen und ihre Wechselwirkungen zu klären, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Achtsamkeit mit aktivem Zuhören und Beobachten: Durch aktives Zuhören und Beobachten können implizite Erwartungen erkannt werden. Seien Sie achtsam, um nonverbale Signale, Andeutungen, Verhaltensmuster und wiederkehrende Themen zu erkennen, welche einer Klärung bedürfen. Vor allem ist es wichtig auf Informations- oder auch Konzeptlücken zu achten, diese zu hinterfragen oder durch Visualisierungen transparent zu machen.
- Deutliche, klare Kommunikation: Initiieren Sie offene Gespräche, um Erwartungen zu klären und sicherzustellen, dass alle Beteiligten sie verstehen. Stellen Sie Fragen, paraphrasieren Sie und geben Sie Rückmeldungen, um Klarheit zu schaffen. In der Wiederholung liegt viel Macht, wenn es um Klarheit und Rückfragen geht. Es ist hilfreich Aussagen zu wiederholen und in verschiedener Art zu hinterfragen (vergleiche Absatz zu Fragen im Anforderungs- und Erwartungsmanagement).
- Dokumentation und Formalisierung: Schreiben Sie die identifizierten Erwartungen auf, um sicherzustellen, dass sie für alle Beteiligten transparent sind. Dies kann in Form von Vereinbarungen, Projektanforderungen oder Kommunikationsprotokollen geschehen. Sie können auch das Verständnis des geschriebenen zuerst mit einem Countpart auf Verständlichkeit prüfen.
- Feedback und Anpassung: Es ist entscheidend, regelmäßig Feedback einzuholen, relevante Erwartungen zu aktualisieren und die expliziten Erwartungen entsprechend anzupassen, damit sie weiterhin relevant und akzeptiert sind. Dies reflektiert die Dynamik von Erwartungen, die sich wie lebende Organismen verändern und entwickeln können. Dabei ist es auch wichtig, den äußeren Rahmen, also den Projektkontext im Blick zu behalten. Dieser schafft Einflüsse, die auf Erwartungen wirken können.
Durch diesen Prozess können implizite Erwartungen bewusst gemacht und in klare, verständliche und somit explizite Erwartungen transformiert werden. Dies fördert eine bessere Zusammenarbeit, reduziert Missverständnisse und trägt zur effektiven Erfüllung der Projektziele bei. Effektives, kontinuierliches Erwartungsmanagement trägt entscheidend zum Erfolg von Projekten bei!
Fragen als wirksames Element im Erwartungs- und Anforderungsmanagement
Fragen zu stellen ist eines der wenigen Mittel, das eigene Denken im eigenen Bezugsrahmen zu überprüfen. Menschen haben sehr schnell ein Bild von etwas und vervollständigen selbstständig Informationslücken, aus ihrer eigenen Erfahrung und dem eigenen Wissen. Dies kann in vielen Fällen zum Erfolg führen, doch kann genauso der Punkt sein, an dem das ganze Projekt scheitert.
Da dies ein unbewusster Vorgang mit den besten Absichten ist, sind Fragestellungen zur Überprüfung und Vervollständigung elementar.
Es gibt verschiedene Ansätze, um gute Fragen im Anforderungs- und Erwartungsmanagement zu stellen.
Die Wahl der Fragen
- Offene Fragen: Bei noch unklaren Anforderungen sind offene Fragen hilfreich, um die Denkweisen und Bedürfnisse der Stakeholder aus deren Wissensschatz zu bergen. Offene Fragen geben entweder keinen Antwortraum vor oder einen der auf einen bestimmten Fokus begrenzt ist und dort alle Möglichkeiten offen lässt. Sie können unentdecktes erforschen und lassen den benötigten Spielraum offen, damit die relevanten Informationen ausgesprochen werden dürfen. Beispiele: “Wie beschreiben Sie die Anforderungen an den Zielzustand des Angebotsmoduls? Welche Zielgruppen sind davon betroffen? Welche Funktionalität braucht es unbedingt im Zielzustand?”
- Geschlossene Fragen: Zur Überprüfung, ob ein Verständnis korrekt ist, können auch geschlossene Fragen verwendet werden. Geschlossene Fragen geben einen eingeschränkten Antwortraum vor, wie z.B. Ja oder Nein. Schwarz oder weiß. Beispiele: “Habe ich korrekt verstanden, dass nur der Verkaufsinnendienst und das Marketing-Team den Zugriff auf diese Funktion benötigt? Soll diese Eingabe schon eine Vorbelegung haben? Möchten Sie hier das Ampelsystem nutzen oder haben Sie eine eigene Farbcodierung?”
- Frage nach Wahlmöglichkeiten: Geht es um recht detaillierte Klärung oder verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten, so können auch Wahlmöglichkeiten hinterfragt werden. Eine echte Wahl besteht aber erst bei mindestens drei unterschiedlichen Möglichkeiten (Quelle NLP), denn eine Auswahl ist keine Wahl, zwei sind ein Dilemma und erst ab mindestens 3 ist es eine echte Wahl. Bei dieser Art von Fragen, bieten Sie eine enge oder breite Palette von Auswahlen an. Beispiele: “Möchten Sie lieber eine Optionsbox, eine Listenansicht oder eine Checkliste für die Darstellung verwenden? Die Rechnungen im System können automatisiert zum Stichtag erzeugt werden oder per Stichtag in den Prüfprozess eingestellt oder Sie erstellen diese manuell – Mit welcher Lösung möchten Sie in dieser Phase starten? Den Hintergrund der Meldung können wir gelb, rot, orange oder blau darstellen – welche Darstellung passt am besten zur Nutzergruppe?”
Implizite Erwartungen durch Fragen prüfen und sichtbar machen
Es gibt oft nur einen kleinen Hinweis auf etwas, was unpassend erscheint. Oder auch nur der Verdacht, es könnte etwas fehlen oder unausgesprochen sein. Und manchmal steht “der Elefant schon mitten im Raum” (bezeichnet ein offensichtliches Problem, das zwar mitten im Raum steht, aber dennoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird). Den Elefanten zu benennen ist schon die Hälfte der Lösung, die andere Hälfte kann mit gezielten Fragen geklärt werden.
Fehlendes und Eindrücke durch Fragen klären
Zunächst ist es wichtig, das ansprechen, was nicht so offensichtlich ist. Egal, ob es ein Verdacht ist, eine Wahrnehmung oder eine bloße Idee. Sprechen Sie es an, beispielsweise “Ich habe den Eindruck, dass noch etwas offen ist oder etwas fehlt.” Oder “Wenn ich so auf das Prozessdiagramm schaue, scheint es mir unvollständig. Näher kann ich es noch nicht benennen.” Es hilft den Eindruck zu schildern, auch wenn er noch so lückenhaft ist. Ab dann helfen Fragen zur Exploration weiter:
- Geschlossene Frage: “Teilen Sie den Eindruck?” Oder: “Erscheint nur mir dies so?”
- Offene Frage nach einer Übereinstimmung: “Wer hat noch den Eindruck?
- oder auch prüfend: “Was wäre eine gute Vorgehensweise, diesen Eindruck zu überprüfen?”
- oder zirkulär: “Gibt es einen weiteren Stakeholder außerhalb dieses Kreises, der mir zustimmen würde?”
- oder hypothetisch: “Einmal angenommen, mein Eindruck passt und es fehlt ein Stück zum Gesamtbild. Was wäre ein effektiver nächster Schritt, diese Lücke zu ermitteln?”
- oder explorativ: “Wer oder welche Gruppe könnte diese Prozessdarstellung am besten überprüfen?”
Erwartungen an Sozialverhalten mit Fragen klären
In Projektteams kommen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und in verschiedenen Rollen zusammen, um etwas Großes und Komplexes zum Erfolg zu führen. Schon in diesem Satz stecken verschiedenste Interpretationen. Im besten Fall gibt es zu den Projektdokumenten noch ein RACI-Matrix, als Sammlung aller Projektaktivitäten und der verknüpften Personen oder Rollen, die für die einzelnen Aktivitäten verantwortlich sind.
Auch wenn mit einer solchen RACI-Matrix viel beschrieben und geklärt ist, kann es unterschiedliches Verständnis zu den einzelnen Punkten geben. Auch hier gilt es entsprechende Hinweise wahrzunehmen, um Klärungen voranzubringen. Ich bleibe bei dem Beispiel zur Autorität und Verantwortlichkeit eines Projektmanagers aus Sicht des Lenkungsausschusses (vergleiche Abschnitt Implizite versus explizite Erwartungen). Ein Projektmanager fordert vom Lenkungskreis eine Entscheidung über eine Änderung im Projekt, obwohl dieser Kreis aufgrund der Autorität und Verantwortlichkeit des Projektmanagers erwartet hätte, dass er diese Entscheidung selbstständig trifft. Dafür erhält der Projektmanager eine Kritik, die ihn unerwartet trifft und sagt “er habe nicht eigenständig genug gehandelt und solle entscheidungsfreudiger sein”.
Für den Projektmanager ist das noch nicht scharf genug und er kann die Erwartungshaltung hinterfragen. In diesem Fall sind geschlossene Fragen ungeeignet.
- Frage nach dem Bezugsrahmen: “Woran werden Sie merken, dass ich eigenständig genug handele?“
- Hinterfragen mit Wahlmöglichkeiten: “Woran machen Sie die Kritik fest, eher in der Tatsache, dass ich dies nicht entschieden habe oder an meinem Auftreten im Lenkungskreis oder etwas ganz anderem?“
- Frage nach den Rechten und Pflichten der professionellen Rolle: “In welchem Rahmen bin ich befähigt und auch verpflichtet Entscheidungen zu treffen, d.h. welche Kriterien zur Orientierung gibt es dafür?”
- Frage nach dem Bezugsrahmen des anderen: “Was genau meinen Sie mit Entscheidungsfreude? Ist dies eher ein Auftreten? Oder die konkrete Aussage wie etwas getan wird?”
- Kombiniertes Fragen zur professionellen Rolle und mit Interpretationsangeboten: “Wenn ich dies so höre, stelle ich mir vor, dass ich Entscheidungen bis zu einem Rahmen von x Euro selbstständig treffe. Bei Entscheidungen, die außerhalb meines Entscheidungsbereichs liegen, präsentiere ich dem Lenkungskreis konkrete Entscheidungsvorlagen, um die Entscheidungsfindung voranzutreiben. Inwieweit passt mein Verständnis?“
- Fragen nach einem Handlungsbeispiel: “Wie wären Sie als Projektleiter an meiner Stelle vorgegangen? Bitte machen Sie mir ein Handlungsbeispiel dafür.“
Es hilft, die Fragen zu wiederholen und so lange zu fragen, bis das gemeinsame Verständnis stimmig scheint.
Fazit: Sowohl Erwartungs- als auch Anforderungsmanagement sind Kunstformen, die sich kontinuierlich verbessern lassen. Beide tragen maßgeblich zum Erfolg von Projekten, Vorhaben und zufriedenstellenden beruflichen Beziehungen bei. Der Aufwand lohnt sich.
Autorin: Karin Reuter
Hauptberuflich arbeitet Karin Reuter als Projektmanagerin und Business Process Consultant mit umfangreicher Erfahrung in der IT und in IT-Projekten, insbesondere im Microsoft Dynamics Umfeld. Nebenberuflich ist sie als Coach und Beraterin tätig und unterstützt Fach- und Führungskräfte bei der Persönlichkeitsentwicklung. Für Karin Reuter bedeutet Leben kontinuierliche Entwicklung und Veränderung. 2023 erschien ihr erstes Buch zum Thema systemische Fragen.
Datenaktualisierung: 11.09.2024, *=Affiliate Links, Bilder: Amazon Product Advertising API