Projektmanagement in der freien Wirtschaft ist ein Musterbeispiel für Flexibilität, nur zeitweilig bestehende Teams, flache Hierarchien und vor allem einer maximal ergebnisorientierten Arbeitsweise, bei der das Wie nur eine untergeordnete Rolle spielt, wenn das Ziel erreicht wird. Ein Arbeitsumfeld also, das im besten Sinne „Freiheit“ bedeutet.
Gänzlich anders sieht es indes in der öffentlichen Verwaltung aus. Auch dort besteht multipler und immer weiter steigender Bedarf für Projektmanagement. Aber die gesamten Strukturen unterscheiden sich dramatisch von dem, was in der freien Wirtschaft Usus ist. Das kann eine Stärke sein, häufig erweist es sich jedoch als zumindest ungewohnte Hürde, die zusätzlich zu den eigentlichen Problemstellungen überwunden werden muss.
Der folgende Artikel soll vor allem Grundlagen darüber vermitteln, was die Schwerpunkte in einem derartigen behördlichen Umfeld darstellen – wichtig nicht nur für freiberufliche Projektmanager, die in einer Verwaltungsumgebung Aufträge erfüllen wollen, sondern auch alle, die sich mit dem Gedanken an einen Wechsel tragen.
Inhaltsverzeichnis
Es gibt oft digitale Lücken
Die Bundesrepublik hat im Jahr 2018 Steuern in Höhe von 713,6 Milliarden Euro eingenommen. Weitere Einnahmen belaufen sich auf etwa 25 Milliarden Euro.
Nun sind diese rund 740 Milliarden Euro sicherlich kein Pappenstiel. Bedenkt man allerdings, dass die Verwaltung zwar ein breitgefächerter, aber ressortübergreifender Posten ist, wird schnell klar, dass hier das Geld selten in dem Maß vorhanden ist, in dem es benötigt wird – da gibt es unzählige andere Abnehmer.
Eine der wichtigsten Baustellen ist deshalb nach wie vor die Digitalisierung bzw. der Mangel daran. Das betrifft monetär-bedingt die Ausstattung per se, erstreckt sich aber auch auf Denk- und Handlungsprozesse innerhalb des Verwaltungsapparates. Zu erwarten, dass in einer Behörde grundsätzlich die gleiche digitale Natürlichkeit (und Ausstattungs-Fülle) wie in einem marktwirtschaftlichen Unternehmen vorherrscht, wäre illusorisch, auch wenn es in jüngster Zeit durchaus besser wurde (auch dank guten Projektmanagements).
Tatsächlich kann es sogar hilfreich sein, zuvor mithilfe eines externen Partners dafür zu sorgen, dass das nötige Fachwissen in die Verwaltungsumgebung gelangt – die Praxis, einen Dienstleister damit zu beauftragen, funktioniert schließlich in der Wirtschaft hervorragend und kann auch in der Verwaltung durchschlagenden Erfolg haben, darüber das Projekt vereinfachen oder vielleicht sogar erst ermöglichen.
Die Strukturen sind bürokratisch – im Guten wie im Schlechten
Ein Wirtschaftsunternehmen kann im Rahmen der Gesetze so frei agieren, wie es die Konzernleitung und wirtschaftlichen Notwendigkeiten erfordern. Ein Verwaltungsbüro ist jedoch nicht wirtschaftlich, es ist staatlich aufgestellt.
Im Einzelnen bedeutet das:
- Die Hierarchien sind in jedem Fall wesentlich steiler als alles, was heute in der Privatwirtschaft Normalität geworden ist.
- Es ist immer der offizielle Dienstweg einzuhalten, weil die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche glasklar definiert sind, was Flexibilität und Schnelligkeit nicht eben bevorteilt.
Projekte müssen oft von einem Team durchgeführt werden, das nicht nur häufig Projekt-unerfahren ist, sondern währenddessen auch seinen eigentlichen Aufgaben nachgehen muss. Das sonst auch jenseits der Softwareentwicklung gut funktionierende Scrum-Modell muss deshalb angepasst werden, meist ist die Effizienz erheblich reduziert.
Zwar gibt es diverse Verwaltungseinrichtungen, die langjährige Erfahrungen mit Projektmanagement vorweisen können – etwa im Baubereich. Für die Masse ist diese Arbeitsweise jedoch nach wie vor weitestgehend Neuland, weshalb es teilweise auch notwendig ist, gegen rein in den Köpfen existierende Strukturen anzuarbeiten.
Geld ist meist ein zwiespältiges Schwert
Über viele Jahre war der öffentliche Sektor nicht zuletzt deshalb ein attraktives Aufgabengebiet, weil hier nicht nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gearbeitet werden musste – egal ob gut oder schlecht, effizient oder ineffizient gearbeitet wurde, jede Behörde bekam ihren Teil des Kuchens.
Tatsächlich sind diese Zeiten jedoch passé. Zwar fließen nach wie vor Steuergelder, aber die Rechnungshöfe schauen sehr genau hin auf der Suche nach Ineffizienz und Vergeudung.
Für das Projektmanagement ist das ein Segen und Fluch zugleich.
- Segen deshalb, weil die Sparzwänge überhaupt erst dazu führten, dass über Projekte solche Maßnahmen eingeleitet werden können – zuvor bestand kaum Bedarf bzw. erledigte die Verwaltung das Allermeiste inhouse.
- Fluch deshalb, weil es ungleich zur Privatwirtschaft praktisch unmöglich ist, nachträglich den Finanzfluss anzupassen. Ein einmal für ein Projekt festgelegtes Budget lässt sich nur schwerlich ändern – Ausnahmen wie aus dem Ruder gelaufene Projekte vom Schlage eines BER-Flughafens bestätigen die Regel.
Ferner kommt hinzu, dass in vielen Behörden dadurch, dass es dort kaum Projekterfahrungen gibt, auch kein „Fingerspitzengefühl“ für die finanziellen Notwendigkeiten besteht.
Es muss alles kategorisiert werden können
So sehr man in deutschen Amtsstuben auch seit Jahren versucht, vom Rochus des Gehorsams, der strengen Regeln wegzukommen, so sehr ist es doch auch eine Tatsache, dass diese Versuche niemals auch nur annähernd in dem Maß funktionieren können, wie es in der Wirtschaft der Fall ist – schon, weil die Verwaltung per Definition eine gigantische Organisation ist, die jeden Großindustriebetrieb um Längen überragt.
Anders ausgedrückt: Man muss erwarten, dass:
- es für alles eine Verwaltungsvorschrift gibt.
- sehr vieles, was man für ein Projekt tun muss, potenziell mit einer solchen Vorschrift kollidiert.
- es wegen der hierarchischen Struktur meist jemanden geben wird, der sich zunächst mit Verweis auf die Vorschrift verweigert und den man überzeugen muss.
Das soll natürlich nicht heißen, dass in deutschen Amtsstuben bloß Bürokraten säßen, die sich ohne Verwaltungsvorschrift nicht mal die Hände waschen; das wäre eine eklatant falsche Generalisierung und Übertreibung.
Wohl aber soll es heißen, dass die Amts-Uhren einfach anders ticken als man es aus der Wirtschaft kennt und dass man immer erwarten muss, auf ein Regelwerk zu treffen. Tatsächlich gibt es sogar einen Praxisleitfaden für das Projektmanagement der öffentlichen Verwaltung – herausgegeben von der Bundesregierung selbst.
Vieles ist ein Politikum
Die öffentliche Verwaltung ist ein Teil der Exekutive. Damit ist sie zwar gemäß der Gewaltenteilung von der gesetzgebenden Legislative abgekoppelt, allerdings gehören zur Exekutive auch sämtliche Bundes-, Landes- und sonstige nachgeschaltete Regierungsapparate.
Und auch wenn in der Verwaltung die Maßgabe gilt, für den Bürger gemäß den Erlassen der Legislative zu arbeiten und nicht nur nach Parteilinie, muss man einfach anerkennen, dass dennoch in vielen Behörden und Ämtern die Parteien omnipräsent sind.
Das ist schon deshalb unvermeidlich, weil diese Institutionen Teil des Staatsapparates sind und dort die Gräben zwischen Parteizugehörigkeiten manchmal überraschend breit und tief sind. Vielleicht gibt eine neue Landesregierung die Losung aus, dass eine Verwaltungsorganisation per Projektmanagement gründlich entschlackt werden soll; der Leiter dieser Behörde ist jedoch Mitglied in der vorherigen Regierungspartei. Allein das kann und wird im Projektalltag zu machen Schwierigkeiten führen – ohne jemandem absichtliche Verzögerung ankreiden zu wollen.
Zudem wird just bei den Kosten, die andere Parteien auszugeben gedenken, enorm genau hingeschaut – denn auch nur der Verdacht auf unnötige Ausgaben liefert den gegnerischen Parteien perfekte Munition, um die Regierung (oder auch den ungeliebten Koalitionspartner) an den Pranger der Verschwendung zu stellen. Das ist besonders dort kritisch, wo sich der Wert eines Projekts erst (lange) nach seinem Abschluss zeigt.
Das bedeutet zudem auch, dass einem oftmals sehr genau auf die Finger geschaut wird und dass man sich für viele Einzelschritte rechtfertigen muss, wo man es vielleicht sonst gewohnt ist, nur ein gutes Ergebnis präsentieren zu müssen.
Zusammengefasst
Projektmanagement wird auch im Rahmen der öffentlichen Verwaltung immer wichtiger. Gleichsam herrschen hier jedoch nach wie vor und teils inhärent Strukturen vor, die „Projektmanagement nach Schema F“ erschweren bis verunmöglichen – und zudem auch erst in die dafür notwendigen Arbeitsweisen eingeführt werden müssen.
Das sorgt für den modernen Projektmanager vor allem für eines: Ein äußerst spannendes Arbeitsumfeld, das viele knackige Herausforderungen bietet. Leicht sind Projekte in der Verwaltung sicherlich nicht durchzuführen, aber es winkt auch das gute Gefühl, mit seiner Arbeit der ganzen Öffentlichkeit, nicht nur einem einzelnen Unternehmen, einen Dienst zu erweisen.